Die Rehjagd
"An die Ursprünge des Esssens reisen, dahin, wo es wächst und lebt, wo die Natur sich verwandelt in das, was wir auf den Teller bekommen. Wir nennen ihn nur noch: le Chef!" So lautet der Einleitungstext der deutsche Ausgabe von Frankreichs ältestem Modemagazin l'Officiel. Die Geschichten und Rezepte, die wir für die Kochkolumne dieses Magazins produziert haben, können Sie an dieser Stelle lesen.
Spätherbst in Deutschland, nackte Bäume stehen vor betongrauem Himmel. Auf den Großstadtstraßen sind Alle mit eingezogenen Köpfen unterwegs, als würden sie noch rasch die letzten Dinge erledigen, bevor sie sich für den ganzen, nahenden Winter zurückziehen. Ich möchte raus aus der Stadt in die Natur. Dahin, wo der Nebel in den Senken liegt, die Luft nach Erde und Pilzen riecht und dünnes Eis auf kleinen Pfützen gefroren ist. Ich fahre an einen sehr deutschen Ort: mein Ziel ist das Fichtelgebirge im Norden Bayerns. Dunkle Fichten und moosbewachsene Granitriesen charakterisieren diese Landschaft. Hier findet das Reh ideale Lebensbedingungen und hier bin ich verabredet mit Markus Erhard. Er ist Förster und wird mich heute mitnehmen zur Rehjagd.
Wir treffen uns an seinem Auto. Der Geländewagen steht vor der Garage, die früher der Eingang zum Pferdestall war. Grosses gelbes Fachwerkhaus auf Granitsockel mit schiefergedecktem Dach, der bewirtschaftete Vorgarten beschützt von einem Zaun aus jungen Fichtenstämmen. Handschlag mit Herrn Erhard, er ist ein grosser Mann, kurzer Vollbart, die höfliche Zurückhaltung von Menschen die auf dem Land leben.
„Sind Sie warm genug angezogen?“ ist das erste, was er zu mir sagt. Er selber trägt mehrere Schichten Vlieskleidung, die äußerste ist aus Filz, schwere Stiefel, Schal, gepolsterte Schirmmütze mit der Aufschrift: JagdWild. Es ist halb drei nachmittags, wir haben noch knapp zwei Stunden diffuses Tageslicht. Die Temperatur liegt bei sechs Grad. In unseren unförmigen Jacken klemmen wir uns auf die Sitze des Daihatsu 4WheelDrive, dicke Filzunterlagen auf den Vordersitzen sollen helfen, uns warmzuhalten. Auf dem Rücksitz liegt ein Karton mit Farbdosen zum Markieren von Bäumen, ein Paar Handschuhe, eine Decke und das mattschwarze Gewehr. Der Lauf ist schwarz und auch der Schaft aus schwerem Kunststoff, ebenso das Zielfernrohr und der Schalldämpfer. „Wenn Sie mal am Jägerstammtisch versucht haben mit den Alten zu reden, wissen Sie warum man einen Schalldämpfer braucht.“
Wir fahren eine majestätische Allee entlang, rumpeln über ein Bahngleis, fahren am Haus des alten Försters vorbei, eine Brücke führt uns über die Autobahn hinweg. Hier tauchen wir in die Dunkelheit des Waldes ein. Herr Erhard ist skeptisch, ob wir erfolgreich sein werden, der Wind ist ziemlich stark heute, kann sein dass die Tiere deshalb nicht aus der Deckung kommen. Wir wollen es am Buchendreieck versuchen. Der Förster stoppt den Wagen, zündet sich einen Zigarillo an und bläst den Rauch aus dem Fenster, schaut ihm hinterher:
„Naa, das wird nix. Der Sitz steht da hinten und die Tiere kommen wenn dann von hier.“
Die falsche Windrichtung also, die Rehe würden uns wittern. Herr Erhard fördert aus einer seiner tiefen Taschen sein iPhone zu Tage, dicke Schutzhülle. Er ruft seinen Nachbarn an: „Andreas, bist du draussen? – Ah gut, dann fahren wir hinter. Wir sind dann beim Brunnen.“ Mich beruhigt, dass jemand weiss, wo wir sind in diesem grossen, tiefen Wald. Wir fahren an einer Lichtung vorbei, lange Wiese mit gestaffelt daliegenden Teichen und zwei Häusern: das ist die Kleppermühle, hier werden Forellen gezüchtet.
Abseits vom Weg lassen wir das Auto stehen und gehen die letzten Meter zu Fuss. Der Boden ist weich, vollgesogen vom letzten Regen, der Forstweg tief zerfurcht, der Harvester ist schuld. Eine tonnenschwere Maschine, die, von nur einem Mann bedient, das Holz fällen, entasten, sägen und sich selber aufladen kann. Trotz dem Zustand des Weges ist Herr Erhard zufrieden, er geht in die Hocke und zeigt auf zwei paralelle Hufabdrücke in der Erde:
„Schau, die waren hier!“
Wir klettern auf den Hochsitz und richten uns ein: die Filzunterlagen aus dem Auto haben wir mitgenommen und legen sie auf das Brett auf dem wir sitzen. Herr Erhard stellt das schwere Gewehr mit dem Kolben auf dem Boden ab, allerdings ohne in den nächsten Stunden seine rechte Hand vom Schaft zu nehmen.
Exponiert sitzen wir drei Meter über dem Boden mitten im Wald. Das erste was ich wahrnehme ist das Rauschen der Bäume, deren Stämme sich im Wind wiegen. Dann die gedämpften Farben: dunkles, blaues Grün, das Braun, das langsam in Grau übergeht, helles sandfarbenes Gras in den Gassen zwischen den Bäumen. Die Grösse der Bäume, das Grau des Himmels hinter den Wipfeln. Ein unerwartetes Gefühl von Aufgehobensein stellt sich ein, kann der Kälte noch trotzen. Wir sitzen mitten im grossen Rauschen des Waldes.
Lange passiert nichts, die Farben um uns werden grauer, das Tageslicht schwindet immer schneller. Der Förster blickt nach links, dann nach rechts. Dann wieder nach links, dort scheint er eher ein Reh zu vermuten. Schliesslich sind wir nah dran aufzugeben, als er unvermittelt das Gewehr hebt, es auf dem Holz des Hochsitzes ablegt und durchs Visier peilt. Sofort sind wir beide hellwach.
Sehr leise: „Da, siehst es?“
Etwa 30 Meter von uns entfernt, schräg links vorne.
Die Spannung ist jetzt zu Greifen.
„Noch nicht. Gleich“
Dann kommt der Schuss.
Das Reh fällt schlagartig ins Gras, ich höre überdeutlich das Repetiergeräusch des Gewehres, dann herrscht wieder Stille.
Mein erster Gedanke ist, daß mir jemand erzählt hat, die Indianer würden sich bei dem Tier das sie erlegt haben dafür bedanken, daß es für sie gestorben ist.
Langsam nehmen meine Ohren das Rauschen des Windes wieder wahr.
Wir warten ob noch ein Reh auftaucht, es kommt aber keines.
Inzwischen ist die Nacht hereingebrochen, also steigen wir nach unten, finden das Tier mit der Taschenlampe. Wir tragen es zum Auto und legen es in eine schwarze Plastikwanne, die im Kofferraum steht. Eine Viertelstunde später kommen wir auf dem dunklen Hof an, fahren rückwärts an das Scheunentor. Gemeinsam tragen wir das Reh durch die alte Scheune in einen gekachelten Raum. Neonlicht, hier ist es nicht wärmer als draussen, aber wir sind dem Wind nicht mehr ausgesetzt. In diesem Raum werden die Tiere unter hygienischen Bedingungen fachmännisch ausgenommen, aus der Decke geschlagen und zerlegt. Bei unserem Bock, er wiegt 16 Kilogramm, dauert das eine dreiviertel Stunde. Ein Grosshändler kauft Keulen, Hals, Rücken, und Schultern und verkauft sie weiter, meistens an umliegende Restaurants und Gasthöfe.
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