Das gute Bier
"An die Ursprünge des Esssens reisen, dahin, wo es wächst und lebt, wo die Natur sich verwandelt in das, was wir auf den Teller bekommen. Wir nennen ihn nur noch: le Chef!" So lautet der Einleitungstext der deutsche Ausgabe von Frankreichs ältestem Modemagazin l'Officiel. Die Geschichten und Rezepte, die wir für die Kochkolumne dieses Magazins produziert haben, können Sie an dieser Stelle lesen.
Dienstagmorgen in Berlin, der Tag ist noch sehr jung. Mein Restaurant öffnet schon um Acht.
Im Gastraum sitzen die ersten Gäste schweigend beim Caffee. Der Architekt ist da, wie jeden Morgen. Der grosse Schauspieler, ein grundsympathischer Mensch mit den blauesten Augen, die ich je gesehen habe, sitzt am Fenster, wie meistens.
In der Küche sind wir bei der zweiten Runde Caffee. Frank schwingt Behälter mit Lebensmitteln aus der Kühlung auf die Arbeitsfläche, damit wir uns einen Überblick verschaffen können. Gemeinsam werden wir gleich, wie jeden Morgen, die heutige Speisekarte festlegen. Ich lege einen Kellnerblock und einen Kugelschreiber dazu, knöpfe die Kochjacke zu, noch einen Schluck Caffee, eingespieltes Morgenritual. Alle sind noch damit beschäftigt, den Weg in den Tag zu finden, als die Tür schwungvoll aufgezogen wird und ein junger Mann reinkommt, der offensichtlich schon wach ist.
„Griass di, i bin der Maximilian Sailer, der Braumeister vom Hofbrau Traunstein!“
Stimmt, wir sind ja verabredet. Guten Tag, wir setzen uns, noch mehr Caffee.
„Du suchst doch ein Helles nulldrei? Des ham ja mir!“
So hat er am Telefon unser Kennenlernen eingefädelt, der Maximilian. Und jetzt ist er da. Den ganzen Weg vom Chiemsee nach Berlin.
In München aufgewachsen, gehört das Bier zu meiner kulinarischen Identität, darum soll es in meinem Restaurant aus Bayern kommen. Dass es in Traunstein am schönen Chiemsee ein Hofbrauhaus gibt, wusste ich allerdings nicht. Wie lange es die Brauerei schon gibt, frage ich darum.
„Seit 1612. Seit 1896 im Familienbesitz.“
Ich schaue den jungen Braumeister ungläubig an. Frisch sieht er aus. Aufgeweckt. Intelligent. Begeistert.
Dass sie eine kleine Privatbrauerei wären, nicht auf maximalen Profit ausgerichtet sind, sondern auf guten Geschmack, immer noch mit offener Gärung arbeiten.
„In der industriellen Brauerei, da braucht da der Braumeister ned amoi mehr Gummistieffi!“
sagt der Maximilian und meint damit, dass das Handwerk den Kontakt zum Produkt in den grossen Brauereiketten verloren hat.
„Jeden Donnerstag fahrn mia des Bier noch mit de Rosswagen aus.“ beschreibt der Maximilian sein Verständnis von Tradition.
„Der Grossvater is scho rossnarrisch g’wesn und i bin’s a!“
Helles Bier, dunkles Bier und Weissbier stellt der Maximilian auf den Tisch.
„Jetzt probierst es amoi und wenn’s dir schmeckt, na machma was z’samm!“
sagt der Maximilian Sailer, verabschiedet sich und ist wieder draussen.
Im Gastraum ist es auf einmal sehr still. Der Architekt und der Schauspieler lassen ihre Zeitungen sinken.
„Wer war denn das?“ fragen beide gleichzeitig.
Mich hat das Feuer des Maximilian Sailer angezündet. Ich möchte sehen, wie sein Bier hergestellt wird, wie das geht, in einer 120 jährigen Familientradition zu stehen. Das Erbe weiterzuführen und trotzdem auf einem hart umkämpften Markt gegen global agierende Firmen mit riesigen Werbetats zu bestehen. Also mache mich ich auf nach Traunstein in Bayern, an dem Fluss Traun gelegen, 10 Kilometer östlich des Chiemsees und 15 Kilometer nördlich der Chiemgauer Alpen.
Der zentrale Platz in Traunsteins Altstadt heisst natürlich: Stadtplatz. Er ist umstanden von
2- geschossigen Häusern. An der einen Stirnseite steht die barocke Stadtpfarrkirche Sankt Oswald, an der anderen Stirnseite führt der Weg durch den Jacklturm hindurch wieder vom Platz herunter. Ich laufe vorbei am bald 600 Jahre alten Lindlbrunnen und dem neuen Maibaum, um am Ende des Platzes in die Hofgasse abzubiegen. Hier, in der Hofgasse Nummer 6, liegt seit seiner Gründung durch den Bayrischen Kurfürst Maximilian I. im Jahr 1612 das Hofbräuhaus. Mitten in der Stadt.
Ich hätte erwartet eine Brauerei, in der über 5 Millionen Liter Bier lagern können, in einem Industriegebiet vor den Toren der Stadt zu finden.
„Mir san hier, weil genau da des Quellwasser vom Hochberg in die Brauerei neifliesst.“
Sagt der Bräu, wie es hier heisst, also der Bierbrauer.
Als wir zur Begrüssung vor dem Verwaltungsgebäude stehen, höre ich das Geklapper von Hufeisen und tatsächlich fährt ein Fuhrwerk auf den Hof, dreht unaufgeregt einen Halbkreis und kommt vor der Lagerhalle zum Stehen. Die Pferde schnauben. Den Leuten vom Hofbräu gefällt mein Staunen, sie finden die Geschichte mit dem Fuhrwerk cool. Den Kutscher schätze ich auf etwa siebzig. Grüss Gott, kurzer Handschlag, sein Griff ist eisenhart. Er trägt Blaumann und Lederschürze.
Ein nagelneuer, surrender Gabelstapler belädt die alte Kutsche mit Biertrageln.
„Zuerst fahrma zum Döner und zur Eisdiele. Dann kommen die Gasthäuser dran.“
sagt der Kutscher und macht sich auf durch die Altstadt, um in gelassener Pferdegeschwindigkeit Bier auszuliefern.
Maximilian Sailer fasst mich an der Schulter und taucht mit mir durch eine Bogentür in den Innenhof seiner Brauerei. Wir folgen dem Weg der Rohstoffe: vom Malzboden, wo die Sommergerste eingeweicht wird in das Sudhaus. Das Sudhaus ist der Raum, den man vor Augen hat, wenn man an eine Brauerei denkt. Grosse, kupferne Sudkessel, gekachelter Boden und grosse Fenster. Hier wird das geschrotete Malz mit Quellwasser eingemaischt und mit Hopfen gesotten. Das Produkt, dass am Ende aus dem Sudhaus kommt, nennt der Brauer Würze. Im Gärkeller wird die Würze mit feiner Bierhefe versetzt. Nach etwa einer Woche hat die Hefe den Malzzucker in Alkohol und Kohlensäure verwandelt. Hier sieht man die offene Gärung, riesige Bottiche, in denen das Jungbier lagert. Tatsächlich tragen die Brauer hier Gummistiefel, wie es mir der Maximilian in Berlin erzählt hat.
Die letzte Station in der Brauerei ist der Lagerkeller. Maximilian ist stolz auf den Keller. Sie haben ihn erst 2015 eingeweiht, kurz nachdem er die Brauereigeschäfte zum 400 jährigen Jubiläum von seinem Vater übernommen hatte. Hier unten sieht es nicht aus wie in einem Keller, sondern eher wie in der ultramodernen Lagerzentrale eines Hightech- Unternehmens. An dieser Stelle wird der Geschmack des Traunsteiner Bieres entscheidend geprägt: die lange Lagerzeit, die die Brauer sich hier leisten, ist für den Geschmack wesentlich.
Ob das das Geheimnis seines Bieres wäre, möchte ich wissen.
Ja, aber auch die Rohstoffe, der Hopfen, der auf eigenen Felder in der Hallertau, nördlich von München angebaut wird, das klare Quellwasser und die bayrische Gerste.
„Und vor Allem: die Mitarbeiter! Wia a Familie.“ sagt der Maximilian überzeugt. „Des muass ois passn.“
In der Lagerhalle treffe ich Alois. Anscheinend passt bei ihm wirklich Alles. Er ist schon seit 1978 beim Sailerbräu. Heute füllt er das Helle in traditionelle Holzfässer ab. Das macht er einmal in der Woche. Warum sie noch solche Fässer haben, frage ich ihn.
„Mit de Hoizfassln, des is hoid a oida Brauch. Und den lassma ned sterb’n.“ sagt er und grinst breit.
Als es draussen langsam dunkel wird, verabschiede ich mich von dieser seltenen Mischung aus Tradition und moderner Technik. Ich schlendere auf den Stadtplatz zurück um in der Wirtschaft endlich ein Helles zu trinken. Fast alle Tische sind leer, es ist noch früh. Holzgetäfelte Wände, helle Ahorntische, solide Stühle. Als ich meine Halbe fast leer habe, betritt ein alter Herr die Wirtschaft. Er kommt langsam in dicken Filzpantoffeln auf meinen Tisch zugeschlurft, weil es der ist, der der Tür am nächsten steht. Er nickt mir zu, ohne mich genau zu erkennen, hält sich an der Tischkante fest und lässt sich in Zeitlupe auf die Bank sinken.
Der Wirt ist gleich bei ihm. Mitte zwanzig, Lederhosen, Haferlschuhe, blondierte Haare.
„Magst a Bier?“
Der Alte nickt langsam und ausführlich, „ja!“ sagt er schliesslich mit heiserer Stimme. Der Wirt wird die Antwort sowieso schon wissen.
“ An Bierwärmer auch?“
Wieder Nicken.
Gleich darauf ist er wieder da. Der Junge stellt dem Alten ein goldenes Glas hin.
„Da, schau! Da hast a gscheit’s Bier.“
Text und Fotos: Markus Schädel
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